Gibt es die optimale Schlafdauer?

Teil 14 unserer Serie zur Epigenetik | Zu wenig Schlaf macht krank. Zu viel Schlaf auch? Ein Kommentar.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Cambridge und Shanghai wollen herausgefunden haben, dass die optimale Schlafdauer mittelalter Menschen sieben Stunden beträgt. Sie haben Daten von einer halben Million Menschen ausgewertet und kommen zu dem Schluss: Weniger oder auch mehr als diese sieben Stunden sollen die geistige Leistungskraft beeinträchtigen. Allerdings verwechseln die Forscherinnen und Forscher genauso wie die vielen Medien, die über ihre Publikation berichten, Korrelation mit Kausalität. Sogar die „Süddeutsche Zeitung“, das „ZDF“ und „Focus online“ tappen in diese Falle. Es wäre fatal, wenn sich deshalb noch mehr Menschen einen Wecker stellen und weniger als nötig schlafen würden. Ausschlafen ist nicht ungesund.

Die optimale Schlafdauer – Mythos oder Realität?


Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Cambridge und Shanghai haben eine Studie zur optimalen Schlafdauer durchgeführt. Sie haben Daten von einer halben Million Menschen analysiert und festgestellt, dass sieben Stunden Schlaf pro Nacht die optimale Dauer für mittelalte Menschen sein könnten.
Es gibt jedoch eine Verwechslung von Korrelation mit Kausalität in den Medienberichten über die Studie. Weniger oder mehr als sieben Stunden Schlaf wurden mit einer Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit in Verbindung gebracht. Dennoch ist es wichtig zu beachten, dass diese Zusammenhänge nur auf Korrelationen basieren und keine Kausalität beweisen.
Das individuelle Schlafbedürfnis variiert, aber gesunde Erwachsene benötigen in der Regel zwischen sechs und zehn Stunden Schlaf pro Nacht. Es ist wichtig, das eigene Schlafbedürfnis zu respektieren und ausreichend Schlaf zu bekommen.
Dauerhafter Schlafmangel kann zu gesundheitlichen Problemen führen. Studien haben gezeigt, dass sowohl zu wenig als auch zu viel Schlaf mit einer geringeren Lebenserwartung und geistigem Verfall in Verbindung gebracht werden können. Es besteht jedoch keine klare Kausalität zwischen Schlafdauer und diesen Effekten.
Das Gehirn benötigt Schlaf, um sich zu erholen und zu regenerieren. Schlafstörungen können Symptome von psychischen und neurologischen Erkrankungen sein.
Es gibt keinen biologischen Beweis dafür, dass man zu viel schlafen kann. Wenn der Körper genug Schlaf bekommen hat, wacht man auf. Menschen, die übermäßig viel schlafen, sind entweder krank oder haben ein chronisches Schlafdefizit.
Eine angemessene Schlafdauer ist wichtig für die Gesundheit und das Wohlbefinden. Es ist jedoch ratsam, auf die individuellen Bedürfnisse zu achten und eine regelmäßige Schlafroutine sowie eine angenehme Schlafumgebung zu schaffen.
Mehr Forschung ist notwendig, um die Zusammenhänge zwischen Schlafdauer, Gesundheit und Wohlbefinden besser zu verstehen. Es ist wichtig, dass die öffentliche Gesundheitsfürsorge Maßnahmen ergreift, um den negativen Auswirkungen von Schlafmangel entgegenzuwirken und das Bewusstsein für gesunden Schlaf zu fördern.

Wie steht es um uns und unseren Schlaf? Ungefähr ein Drittel unserer Lebenszeit schlummern wir, auch wenn das individuelle Schlafbedürfnis verschieden ist. Gesunde Erwachsene benötigen täglich zwischen sechs und zehn Stunden, die meisten um die acht. So weit der Stand der Wissenschaft.

Doch wer hat sich nie gewünscht, mit weniger Schlaf auszukommen? Es geht wahrscheinlich fast jedem Menschen in unserer hyperaktiven Leistungsgesellschaft so, sei es zur Steigerung der eigenen Produktivität – oder weil vielleicht ein Neugeborenes nachts alle vier Stunden gestillt werden möchte. Der Wunsch allein genügt indes nicht: Wer sein Schlafbedürfnis auf Dauer ignoriert, wird krank.

Wer sein Schlafbedürfnis auf Dauer ignoriert, wird krank

Um das zu belegen, muss man gar nicht erst den berühmten Regisseur Rainer Werner Fassbinder und sein fast genauso berühmtes Zitat „Schlafen kann ich, wenn ich tot bin“ bemühen. Er starb 1982 im Alter von 37 Jahren.

Dennoch drängt es viele dazu, ihre Schlafenszeit auf ein Mindestmaß zu begrenzen – sozusagen die ideale Menge Schlaf zu finden. Studien, wie jene des chinesischen Hirnforschers Jianfeng Feng aus Shanghai, scheinen deshalb perfekt in diese unausgeschlafene, sich permanent selbst überholende Zeit zu passen. Im anerkannten Fachblatt Nature Aging veröffentlichten er und Mitarbeitende von den Universitäten Fudan und Cambridge, dass „ungefähr sieben Stunden die optimale Schlafdauer sind“. Eine Datenbankanalyse von knapp 500 000 Menschen im Alter von 38 bis 73 Jahren habe ergeben: Jene, die entweder weniger oder mehr als sieben Stunden täglich schlafen, zeigen vergleichsweise frühe Anzeichen für geistigen Verfall und andere Hinweise auf einen Abbau wichtiger Hirnstrukturen.

Sinkt die Lebenserwartung bei Menschen, die mehr als 7 Stunden schlafen?

Hurra. Wussten wir es nicht schon immer? Diese verpennten Drückeberger und Leistungsverweigernde, die morgens keinen Wecker stellen und am liebsten allnächtlich neun oder gar zehn Stunden schlafen, tun sich keinen Gefallen. Im Gegenteil: Sie werden eher krank. Womöglich leben sie sogar kürzer. Fassbinder hätte seine Freude daran gehabt.

Das fügt sich hervorragend in die Reihe teils riesengroßer epidemiologischer Studien, die einen Zusammenhang zwischen der Lebenserwartung und der Schlafdauer nahelegen. Danach lebten jene Menschen am längsten, die etwas weniger als acht Stunden täglich schlafen. Weniger, aber auch mehr Schlaf sei verbunden mit einer geringeren Lebenserwartung. Der US-amerikanische Schlafforscher Daniel Kripke fragte schon im Jahr 2004 im Fachblatt Sleep „Do we sleep too much?“ – schlafen wir zu viel?

Erwiesen: Zusammenhang zwischen Schlafdauer und Gesundheit

Für mich als Autor und Redner zum Thema Schlaf heißt das konkret, dass ich immer wieder mit exakt dieser Frage konfrontiert werde: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hätten doch gezeigt, man könne zu viel schlafen. Warum sei das so? Solle man dann nicht doch besser einen Wecker stellen und seine Schlafzeit bewusst auf das Optimum begrenzen?

Und genauso regelmäßig antworte ich, die zitierten Studien hätten doch in Wahrheit etwas anderes gezeigt. Wenn überhaupt, dann belegten sie sogar das Gegenteil der These vom gefährlichen Schlafexzess. Sowohl die neue als auch die vielen früheren Studien zum Thema messen Korrelationen. Sie zeigen also, dass es einen wahrscheinlichen Zusammenhang gibt zwischen der Schlafdauer und der Gesundheit.

Vor allem das Gehirn braucht Schlaf

Das ist aber noch lange keine Kausalität. Es sagt also nichts darüber aus, wo der Zusammenhang herkommt. Die aktuelle Analyse vieler Menschen belegt immerhin: Wer durchschnittlich weniger als sieben Stunden schläft, hat häufiger Schäden im Gehirn und baut kognitiv früher ab. Das war zu erwarten und hat vermutlich tatsächlich zumindest zum Teil seine Ursache im chronischen Schlafmangel.

Denn wir schlafen auch für das Gehirn, das sich im Schlaf erholt, reinigt und insgesamt konsolidiert. Außerdem sind Schlafstörungen ein häufiges Symptom psychischer und neurologischer Krankheiten. Depressionen oder auch eine Demenz gehen zum Beispiel fast immer mit mächtigen Veränderungen des Schlafverhaltens einher.

Aber die Studie zeigt nun mal auch, dass jene, die mehr als sieben Stunden schlafen, ähnliche Symptome haben. Potzblitz! Macht zu viel Schlaf etwa das Gehirn kaputt? Schlagzeilen wie „Sieben Stunden Schlaf ab dem mittlerem Alter optimal“ (Süddeutsche Zeitung), „Das ist die perfekte Schlafdauer für Erwachsene“ (Focus), „Sieben Stunden Schlaf sind optimal“ (ZDF) oder „Gesundheitliche Gefahren durch falsche Schlafdauer“ (heilpraxisnet) machen erwartungsgemäß die Runde.

Keine Kausalität zwischen viel Schlaf und geistigem Verfall

Das hat auch damit zu tun, dass Feng und sein Forscherteam selbst in der Publikation die erhöhte Schlafdauer als möglichen Risikofaktor für den geistigen Verfall im Alter nennen – und zwar gleich am Anfang der Publikation, in deren Zusammenfassung. Kaum jemand liest da noch bis zum Ende, wo sie in der Diskussion das eigene Argument entschärfen: Was sie gefunden hätten, sei natürlich keine Kausalität. Sie könnten mit ihrer Methode nicht belegen, dass der erhöhte Schlafbedarf schuld am geistigen Verfall sei. Es besteht also höchstens ein irgendwie gearteter Zusammenhang, eine Korrelation.

Ein Thread, in dem ich diese Zusammenhänge kurz auf Twitter zusammengefasst habe, stieß auf erschreckend viel Zustimmung und wurde vielfach geteilt. Offensichtlich existiert beim Thema optimale Schlafdauer ein riesiger Informationsbedarf.

Schlafkur macht glücklich und schlau

Das Problem: Die Konstruktion einer Kausalität aus einer Korrelation funktioniert in der Regel in beide Richtungen: Viele Krankheiten haben demnach nicht nur negative Auswirkungen auf das Gehirn und die geistigen Fähigkeiten, sondern erhöhen manchmal auch das Schlafbedürfnis. Anders gesagt: Das Leiden bedingt zumindest in solchen Fällen den „Schlafexzess“, nicht umgekehrt. Als Erkenntnis ist das nicht neu, aber wohl nicht knackig genug für Schlagzeilen und die Aussicht auf eine prestigeträchtige Publikation in einem renommierten Fachmagazin.

Was bleibt also von der Vermutung, Menschen könnten zu viel schlafen? Auch noch so große Studien zu Korrelationen können das niemals messen. Aufschlussreicher ist es, Menschen genau zu beobachten, die bis zu vierzehn Stunden am Stück schlafen dürfen – idealerweise in einem Bett in einem Schlaflabor. Anfangs nutzen sie fast die ganze Zeit zum Schlafen. In den nächsten Nächten schlafen sie dann immer weniger, bis sie ein konstantes Niveau erreicht haben, das wohl ihrem natürlichen Bedürfnis entspricht. Und siehe da: Am Ende einer solchen Schlafkur sind sie gut gelaunt, hochkonzentriert und erstaunlich schlau.

Ähnliches erlebten viele Menschen während der Corona-Pandemie, die während des Lockdowns nicht dem strengen Regiment des Arbeitsalltags und Soziallebens unterworfen waren, sondern morgens länger schlafen oder in anderen Fällen abends früher zu Bett gehen konnten. Ein Segen für alle, besonders aber für Schulkinder, wie Forschende der Universität Zürich herausfanden. Sie publizierten Anfang 2022 Erkenntnisse, wonach die Schulschließungen die Lebensqualität und die Schlafmengen bei Jugendlichen erhöhten.

Es ist unmöglich, zu viel zu schlafen

In letzter Konsequenz bedeutet all dies: Zu viel schlafen, ist rein biologisch gar nicht möglich. Wenn wir keinen Schlaf mehr brauchen, wachen wir einfach auf. Wer dennoch immer wieder und über Wochen hinweg sehr viel schlafen muss – also mehr als die für Erwachsene maximal als gesund eingestuften zehn Stunden – ist entweder krank oder hat ein sehr hohes chronisches Schlafdefizit.

Der US-Amerikanische Schlafforscher Thomas Wehr hat das schon 1992 gezeigt. Unlängst hat er mit anerkannten Forschenden wie Elizabeth Klerman oder Charles Czeisler eine Übersicht vorgelegt, die die wichtigsten Fakten zum Thema zusammenfasst. Man müsse mehr Rücksicht nehmen auf die Unterschiede im Schlafverhalten zwischen Menschen, aber auch im Laufe des Lebens eines einzelnen Individuums. Vor allem aber sei es Besorgnis erregend, wie viele Nächte mit reichlich Schlaf in der Regel nötig seien, damit Menschen in unserer Gesellschaft ihr offensichtlich erhebliches Schlafdefizit stückweise abbauen können.

Diese Erkenntnis, dass wir gesamtgesellschaftlich gesehen einfach viel zu wenig schlafen, sei „wichtig für die öffentliche Gesundheit und andere Bestrebungen, die negativen Auswirkungen von Schlafmangel auf die verschiedensten Bereiche der Physiologie zu verringern“.

Es darf bezweifelt werden, dass bei dieser bedeutsamen Aufgabe die aktuelle Studie sowie die vielen prominenten Schlagzeilen über eben diese Studie hilfreich sind.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 4. Juni 2022 im Themenmagazin Erbe&Umwelt bei RiffReporter.
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Peter Spork

Dr. rer. nat. Peter Spork ist seit 30 Jahren freier Wissenschaftsautor. Im Spiegel-Bestseller „Gesundheit ist kein Zufall“ entwickelt er einen neuen Gesundheitsbegriff als generationenüberschreitenden Prozess. 2009 veröffentlichte er das erste allgemeinverständliche Buch über Epigenetik Der zweite Code. Seit 2010 gibt er den Newsletter Epigenetik heraus. (Autorenfoto: Thomas Duffé)