So lernen Kinder Achtsamkeit

Projekt „Achtsamkeitstraining im Kindergarten“ in und um Regensburg

Die Doktorandin und Psychologin Christiane Portele hat unter Leitung der Achtsamkeitsforscherin Prof. Dr. Petra Jansen (beide von der Universität Regensburg) Ende 2019 acht Wochen lang an Regensburger Kindergärten Achtsamkeit trainiert. Die Ergebnisse ihrer Studien fließen in ein Buch ein, das diesen Sommer erscheinen soll. Vorab teilen sie hier ihre Eindrücke und Erkenntnisse.

Von Petra Jansen

Wir finden es wichtig, dass Kindern bereits früh die Möglichkeit geboten wird, liebevoll mit sich selbst und anderen umzugehen. Aus diesem Gedanken heraus wurde unser Projekt „Achtsamkeitstraining im Kindergarten“ konzipiert. Dafür passten wir das Kindness-Curriculum für Kindergartenkinder vom Center for Healthy Minds, begründet von Richard Davidson, an die deutsche Lebenssituation an und erprobten dieses in mehreren Kindergärten rund um Regensburg. Zudem untersuchten wir den Einfluss dieser Praxis auf die emotionale, soziale und kognitive Entwicklung der Kinder. Erste Ergebnisse erwarten wir diesen Sommer. Doch unabhängig von den Ergebnissen war es ein Gewinn für uns zu sehen, mit welcher Aufmerksamkeit und Freude die Kinder im Alter zwischen vier und sechs Jahren teilnahmen.

Was ist eigentlich „Achtsamkeit“?

Achtsamkeit ist in aller Munde. Sie hält Einzug in Wissenschaft, Unternehmen, Schulen und Sport – Achtsamkeit scheint zu einem Allheilmittel hochstilisiert zu werden. Genau davor warnen mittlerweile Wissenschaftler und fordern eine detaillierte Beschreibung des zugrunde liegenden Konzeptes.

Kurz gesagt, bedeutet Achtsamkeit die Fähigkeit, im jetzigen Moment ganz präsent zu sein, ohne diesen zu bewerten.

Wer Achtsamkeit in der Praxis erfolgreich umsetzen möchte, sollte sich mit der Frage befassen: Welche Art von Achtsamkeit fördert den Einzelnen und passt zur aktuellen Lebenssituation? Eine endgültige Antwort auf diese Frage ist nicht so leicht zu finden, die Lebenswege der Menschen sind sehr verschieden. Jeder kann am besten dort beginnen, wo sie:er gerade steht – mit den Möglichkeiten, die jeweils zur Verfügung stehen und mit dem Ziel, das man anstrebt. Das gilt auch für Kinder, die einen entscheidenden Vorteil gegenüber vielen Erwachsenen haben: Sie sind eher dazu bereit, ihr Herz zu öffnen – eine wichtige Voraussetzung für die „Achtsamkeitspraxis der liebevollen Güte“.

Achtsamkeitspraxis der liebevollen Güte

Darunter versteht man eine Form der Achtsamkeit, bei der man sich selber, einer sehr nahestehenden liebgewonnenen Person, einer fremden Person und einem Menschen, mit dem man Schwierigkeiten hat, gute Wünsche entgegenbringt. Man öffnet sein Herz und schenkt liebevolle Freundlichkeit sich selbst und einem anderen. So praktiziert man eine herzbasierte Achtsamkeitspraxis, die eine Verbindung zwischen den Menschen schafft.

Vieles haben die Kinder in dieser Zeit gelernt: z.B. ihren Atem zu spüren und die Aufmerksamkeit auf diesen zu richten; ihre Gefühle zu erfahren und wie sich diese in ihrem Inneren und auch im Außen zeigen; dass sich Emotionen mehrmals am Tag verändern und man mit den eigenen Emotionen nett und freundlich umgehen kann. Und: Sie sind sich bewusst geworden, wie wichtig Freundschaften sind. Der „Freundschaft-Wachsen-Wunsch“ (siehe unten) hilft ihnen dabei, das nicht zu vergessen.

„Glitzer-Gucken“ zur Beruhigung

Wir haben auch „Gedankengläser mit Glitzer“ gebastelt: Immer, wenn die Kinder Ärger oder Wut zeigen, können sie nun ihr Glas nehmen und es schütteln – während sich der Glitzer auf dem Boden absetzt, lassen sich auch die Gedanken beruhigen. In den einzelnen Stunden halfen den Kindern Bücher und Lieder, Dankbarkeit für Lebewesen und Dinge auszudrücken und die Freundlichkeit der Mitmenschen zu spüren. Die Kinder erfuhren, dass sie alle unterschiedlich und gleichzeitig alle gleich sind, weil sie sich alle Frieden wünschen. Atem, Gefühl, Freundlichkeit, Fürsorge, Vergebung und Dankbarkeit sind für diese noch jungen Kinder nun keine Fremdwörter mehr.

 „Freundschaft-Wachsen-Wunsch“

WORT ZEICHEN
Möge Flache, offene Hände, Handflächen nach oben, abwechselnd heben und senken.
alles, was Die rechte Hand beschreibt einen Halbkreis vor dem Oberkörper.
ich Zeigefinger auf die Brust.
denke, Rechter Zeigefinger zur rechten Schläfe.
sage Der rechte Zeigefinger bewegt sich von der rechten Mundwinkelseite nach vorne
und tue Zwei „C“-Hände mit der Vorderseite nach unten bewegen sich nach oben und unten.
niemanden Der rechte Zeigefinger bewegt sich von links nach rechts auf und ab.
verletzen Rechter und linker Zeigefinger berühren sich zweimal.
und allen Die rechte Hand beschreibt einen Halbkreis vor dem Oberkörper.
helfen! Die rechte Hand liegt auf der linken auf der Brust.

In Zeiten des Wandels die Herzen öffnen

Was haben wir sonst erreicht? Keine Weltveränderung! Wir haben sozusagen einen Sonnenblumensamen gepflanzt, wie es auch die Kinder in der zweiten Stunde lernten.  Vielleicht ist das ein Anstoß, wie wir den heranwachsenden Generationen das nötige Vertrauen, eine stabile Basis und eine Verbundenheit in Form von Wurzeln, aber auch Flügeln mitgeben können, damit sie sich in einer sich verändernden Welt mit stetig wachsenden Anforderungen emotional gesund entwickeln können.

Denn wir sind zutiefst davon überzeugt, dass wir den turbulenten Zeiten des Umbruchs mit Klimawandel, Digitalisierung und Globalisierung nur dann begegnen können, wenn wir und unsere Kinder in uns ruhen, unsere Herzen öffnen und auf die Zukunft vertrauen.


Referenzen:

Flook, L., Goldberg, S.B., Pinger, L., & Davidson, R. J. (2015). Promoting prosocial behavior and self-regulators kilss in preschool children through a mindfulness-based kindness curriculum, Developmental Psychology, 51 (1). 44-51. doi. 10.1037/a0028256.

Jansen, P. & Kunze, P. (2019). Bildung braucht Liebe. Freiburg: Arbor.

Van Dam, N. T., van Vugt, M. K., Vago, D.R., Schmalzl, L., Saron, C. D. … Meyer, D.E. (2018). Mind the hype: A critical evaluation and prescriptive agenda for research on mindfulness and meditation. Perspectives on Psychological Science 13 (1), 36-61. doi. 10.1177/17456916117709589.

Prof. Dr. Petra Jansen

Prof. Dr. Petra Jansen ist promovierte, habilitierte Psychologin und Lehrstuhlinhaberin für Sportwissenschaft an der Universität Regensburg. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt in der Untersuchung des Zusammenhanges von Motorik, Emotion und Kognition.
Die überzeugte Vegetarierin und Mutter von drei erwachsenen Kindern etablierte den ersten Masterstudiengang für Achtsamkeit.