Was tun gegen das Hochstapler-Syndrom?

Impostor-Syndrom erkennen und überwinden

Das Gefühl, ein:e Hochstapler:in zu sein und die eigene Unfähigkeit immer nur geschickt zu überspielen – das haben mehr Menschen, als man vermuten könnte. Besonders im Berufsleben kann das schnell negative Auswirkungen auf die eigene Leistung und das Selbstbild haben und im schlimmsten Fall zum Teufelskreis werden. Erfahre in diesem Beitrag, was das Impostor-Syndrom genau ist, wie du es erkennen und vor allem überwinden kannst.

„Ich kann das nicht! Das ist ein schwieriges Gefühl“, erzählt Magdalena Rogl und meint damit nicht Aufregung und Selbstzweifel, die jede:r mal hat, wenn sich neue Aufgaben stellen oder große Herausforderungen auf uns zurollen. Magdalena Rogl ist 39 Jahre alt, Mutter von zwei Söhnen, Microsoft-Managerin und Influencerin, auch seit und weil sie ihr Impostor-Syndrom auf Twitter öffentlich machte.

„Vor allem in Situationen, die durch andere Probleme schon anstrengend genug sind, wird das Impostor-Syndrom so laut, dass es fast nicht auszuhalten ist. Es sagt dauernd: ‚Du schaffst es nicht, Du bist nicht qualifiziert genug. Jede Rückfrage oder kleine Kritik sorgt dafür, dass es noch lauter wird.“

Das Impostor-Syndrom beschreibt die ständige Angst zu versagen und als Hochstapler:in enttarnt zu werden.

Impostor-Syndrom: die ständige Angst zu versagen

Impostor kommt vom englischen Imposter und heißt so viel wie Hochstapler:in oder Schwindler:in. Doch anders als echte Hochstapler:innen, die sich wie Leonardo di Caprio im Film „Catch me if you can“ als etwas verkaufen, was sie nicht sind, stapeln Menschen mit Impostor-Syndrom tief. Sie können tatsächlich mehr, als sie von sich glauben. Und obwohl sie positives Feedback erhalten, verschlimmert ein Erfolg ihre Versagensängste.

Dazu gehören Persönlichkeiten wie Jodie Foster, die nach der Oscar-Verleihung gestand: „Ich habe ständig Angst zu versagen und dass jemand herausfindet, dass ich eigentlich nichts kann. Ich dachte, sie würden mir den Oscar wegnehmen.“ Oder Oscar-Preisträgerin Kate Winslet, die in einem Interview mit „The Mirror“ zugab: „Manchmal wache ich morgens auf, bevor ich zu einem Dreh gehe, und denke: Ich kann das nicht tun. Ich bin eine Betrügerin. Sie werden mich feuern.“

Erstmals beobachtet und beschrieben wurde das Impostor-Phänomen 1978 von den Psychologinnen Dr. Pauline Clance und Dr. Suzanne Imes. Sie fanden heraus, dass es besonders erfolgreiche Frauen sind, die sich für nicht sehr intelligent halten, obwohl das nicht stimmt. Im Rahmen ihrer Forschung entwickelten sie dann die sogenannte Clance Imposter Phenomenon Scale (CIP).

Eine Skala misst das Hochstapler-Syndrom

Erstmals beobachtet und beschrieben wurde das Impostor-Phänomen 1978 von den Psychologinnen Dr. Pauline Clance und Dr. Suzanne Imes. Sie fanden heraus, dass es besonders erfolgreiche Frauen sind, die sich für nicht sehr intelligent halten, obwohl das nicht stimmt. Im Rahmen ihrer Forschung entwickelten sie dann die sogenannte Clance Imposter Phenomenon Scale (CIP).

Die Skala misst das Hochstapler-Syndrom anhand von sechs Bereichen:

  1. Hochstaplerzyklus: Eine Person bekommt eine Aufgabe, die Selbstzweifel bis hin zu Angst auslöst. Daraufhin versucht sie, diese perfekt zu lösen oder zu prokrastinieren, das heißt, sie möglichst lange aufzuschieben.
  2. Bedürfnis, besonders gut oder perfekt zu sein
  3. Über die eigenen körperlichen Grenzen gehen bis zum Burn-out
  4. Angst vor Misserfolgen
  5. Abstreiten von Fähigkeiten oder Abwerten von Lob
  6. Angst- und Schuldgefühle aufgrund von Erfolgen

„Die Angst bleibt, Erfolge nicht wiederholen zu können.“

Perfektionist:in oder Prokrastinierer:in?

Vor allem Punkt sechs scheint verrückt: Ein Erfolg löst keine Befriedigung aus, sondern erst recht Angst vorm Versagen – warum? „Erfolg führt nur kurzfristig zu einer Erleichterung und wird nie auf das eigene Kompetenzkonto verbucht“, antwortet Prof. Dr. Sonja Rohrmann und unterscheidet die Betroffenen in zwei Typen: „Der Perfektionist denkt, dass es jeder mit so viel Vorbereitung geschafft hätte. Der Prokastinierer sagt sich, dass er mal wieder Glück gehabt hat. Und beide glauben, dass sie es gerade mal wieder geschafft haben. Die Angst bleibt, Erfolge nicht wiederholen zu können und beim nächsten Mal als inkompetent entlarvt zu werden.“

Sonja Rohrmann gehört zu den Expertinnen, die aktuell an der Goethe-Universität Frankfurt zum Thema forschen. Die Professorin für Persönlichkeitspsychologie und Psychologische Diagnostik hat auch den Begriff Imposter-Syndrom zurechtgerückt, weil Syndrome zu Krankheiten gehören, aber „es ist nicht per se krankhaft, sondern handelt sich um ein Persönlichkeitsmerkmal, das von ganz gering bis sehr stark ausgeprägt sein kann. Bei einer sehr starken Ausprägung besteht ein erheblicher Leidensdruck, der Krankheitswert besitzen kann – das ist wirklich nur im Extrembereich der Fall“. Sie nennt das Phänomen deshalb lieber „Impostor-Selbstkonzept“.

Prof. Dr. Dr. Sonja Rohrmann leitet den Fachbereich Differentielle Psychologie & Psychologische Diagnostik an der Goethe-Universität Frankfurt. Impostor beschäftigt sie, seit ihre besten Assistentinnen tiefstapelten.

Typisch weiblich! Oder sind auch Männer betroffen?

Sie und weitere Forscher:innen haben in neuen Studien auch entdeckt, dass das Impostor-Syndrom nicht typisch weiblich ist. Zwar begann auch Prof. Rohrmann, sich für das Phänomen zu interessieren, als hochbegabte Mitarbeiterinnen ständig ihre eigenen Leistungen herunterspielten, doch „die Mehrheit der Studien konnte keine signifikanten Geschlechtsunterschiede im Zusammenhang mit dem Hochstapler-Selbstkonzept nachweisen“.

Selbst Einstein soll die Wertschätzung seines Lebenswerks so beängstigend gefunden haben, dass er sagte: „Ich fühle mich gezwungen, mich als unfreiwilligen Betrüger zu betrachten.“ Grundsätzlich komme das Hochstapler-Selbstkonzept bei begabten und erfolgreichen Personen aller Berufsgruppen vor. Universitäten scheinen „ein besonderer Nährboden für die Entwicklung eines Hochstapler-Selbstkonzepts zu sein“, so Prof. Rohrmann.

Tipps gegen den Zerrspiegel

Wie entsteht dieser innere Zerrspiegel? Prof. Rohrmann: „Die Entstehung ist komplex, es ist eine Kombination aus Anlage und Umwelt. Die Kindheit spielt dabei sicher eine wichtige Rolle. Oft herrschte in den Familien der Betroffenen eine hohe Wettbewerbs- und Leistungsorientierung. Personen mit einem Impostor-Selbstkonzept wuchsen etwa mit dem Gefühl auf, dass ihr Wert von ihrer Leistung abhängt.“

Und wie können die Betroffenen die Selbstzweifel und Ängste überwinden?

„Meist helfen schon einfache Selbsthilfemaßnahmen. Eine besteht darin, regelmäßig aufzuschreiben, was man alles erreicht hat. Dann ist es auch wichtig, Herausforderungen wie zum Beispiel einer Beförderung nicht aus dem Weg zu gehen, sondern sie anzunehmen, auch wenn man Angst hat zu versagen.“ Und es sei sehr hilfreich, mit anderen darüber zu sprechen, wie beispielsweise Magdalena Rogl. Insbesondere Kolleg:innen, die Familie oder auch ein:e Coach können das falsche Selbstbild korrigieren.

Aber was ist zu tun, wenn der Druck so stark wird, dass er zur psychischen und physischen Erschöpfung führt, wenn die Versagensangst lähmt und die Lebensfreude schwindet? Prof. Rohrmann: „Bei hohem Leidensdruck ist eine Psychotherapie ratsam. In jedem Fall geht es bei allen Maßnahmen darum, die schädlichen Denkmuster und Arbeitsstile zu verändern. Ziel ist, ein realistisches Selbstwertgefühl aufzubauen, das nicht von der Bestätigung anderer abhängig ist.“

„Hau ab, Impostor!“ – 7 Tipps für Tiefspapler:innen

  1. Fakten sichern! Erinnere dich an alles, was zu deinem letzten Erfolg geführt hat – schreibe ein Erfolgstagebuch oder eine Liste mit Tatsachen und versuche, sie neu zu bewerten. (Nein, „glücklicher Zufall“ und „mein hilfloses Lächeln“ gehören nicht dazu!)
  2. Erkenne deine Fähigkeiten an. Was kannst du gut? Wenn du meinst, dass du nichts wirklich gut kannst, frag bitte andere und glaube ihnen!
  3. Vergiss deine Schwächen. Die hat jede:r. Du kannst an ihnen arbeiten – um zu wachsen, nicht um dich kleiner zu fühlen.
  4. Bitte andere bei großen Aufgaben um Hilfe. Werte es nicht als Schwäche, wenn du Kolleg:innen oder Expert:innen befragst, ihr Wissen kann deins bereichern – so wie deines das ihre.
  5. Akzeptiere deine Aufregung, sage dir: Jede:r hat mal Angst. Nenne es notfalls Lampenfieber. Hauptsache, es nimmt nicht so überhand, dass du im letzten Moment panisch reagierst. Das wäre schade: Vor allem Menschen mit ängstlicher Aufschieberitis bleiben oft unter ihren Möglichkeiten.
  6. Sich selbst zu loben, ist eitel!? Der Tipp gilt nur für Angeber:innen, das bist du nicht. Es tut gut innezuhalten, wenn du erfolgreich warst, und den Erfolg zu genießen. Gratuliere dir, freue dich, feiere dich auch mal.
  7. Schau in den Spiegel und sag der Person darin, was dir an ihr gefällt.

Dieser Beitrag erschien zuerst in einer Kurzfassung in unserem MAGAZIN fürs LEBEN, Ausgabe 3/2023. Unser Mitgliedermagazin erscheint dreimal im Jahr und bietet dir viele spannende Themen. Jetzt die aktuelle Ausgabe online lesen!

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