Vier Mut machende Wege gegen das Gefühl der Hilflosigkeit.
Krisenzeiten, Stressoren, Herausforderungen und manchmal auch Bedrohungen sind Teil unseres Lebens. Aber die meisten Lebenskrisen können wir bewältigen, mit einer Extra-Portion Lebensmut und einem gesunden Selbstbild. Hier erzählen dir eine Familie, eine Psychologin, ein junger Afghane und eine leidenschaftliche Optimistin, was ihnen hilft, Krisen zu bewältigen: offene Gespräche, Humor, Stolz und ein positiver Blick aufs Leben an sich.
Stressbewältigung in der Familie
Schule, Freunde, Arbeit, Sorgen wegen des Klimawandels, Corona oder des Ukrainekriegs: Bei Familie Wiedemann wird alles am großen Esstisch thematisiert. Denn für Sven (50), seine Frau Katja (49) und die drei Kinder Mia (16), Leo (14) und Ella (10) gilt: Geteilte Probleme sind halbe Problemchen und werden zu fünft „mit maximaler Transparenz“ besprochen und dadurch kleiner, „dass man die unterschiedlichen Meinungen der anderen hört“, erklärt Mia.
Ihr Vater ergänzt: „Wir sind lösungsorientiert und haben oft einen Plan oder eine Perspektive. Aber wenn ich keinen Einfluss nehmen kann, muss ich loslassen und mich nicht verrückt machen.“
Was der Familie in herausfordernden Situationen auch hilft, ist Humor. „Einer von uns macht meist einen Spruch, der die Situation auflockert“, freut sich Katja Wiedemann. „Dinge nicht so ernst zu nehmen, relativiert sie und macht sie weniger schlimm.“ Außerdem stärke die Familie die gemeinsame Zuversicht „Wir schaffen das schon.“
Krisen stärken die Widerstandskraft
„Das Leben ist in der Regel kein langer, ruhiger Fluss“, erklärt Diplompsychologin Prof. Dr. Eva Asselmann, die an der HMU Health and Medical University in Potsdam zum Thema Persönlichkeitsentwicklung forscht und darüber regelmäßig publiziert. „Dazu gehören auch Herausforderungen, Veränderungen und Umbrüche. Sie stellen die Routine auf den Kopf, erfordern das Einnehmen neuer Rollen und haben enormes Lernpotenzial.“
Nawid Mohammadi kam aus Afghanistan nach Deutschland
Wie sehr Menschen an Herausforderungen wachsen können, beweist Nawid Mohammadi. 2015 kam er mit seinem Bruder aus Afghanistan nach München. Dort kämpften die beiden darum, als Asylsuchende bleiben zu können. Parallel wollten sie so schnell wie möglich Deutsch „als Schlüssel zur Integration“ lernen und zur Schule gehen.
Mit viel Fleiß und der Unterstützung netter Lehrer:innen und Nachhilfe hat Nawid den qualifizierenden Hauptschulabschluss, Mittlere Reife und schließlich Fachabitur gemacht. Mittlerweile studiert er Internationales Immobilienmanagement in Aschaffenburg und engagiert sich als Tutor im Wohnheim sowie als Jugendbotschafter für „Dein München“: eine gemeinnützige Organisation, die sich für faire Startbedingungen junger Menschen einsetzt.
Hürden nehmen und an der Herausforderung wachsen
„Probleme kommen und gehen“, lautet die Bilanz des mittlerweile 25-Jährigen Nawid Mohammadi, der gerade die „beste Zeit meines Lebens“ hat. „Wichtig ist es, immer am Ball zu bleiben.“ Kraft zum Weitermachen gibt ihm der Stolz darauf, schon so viel geschafft zu haben auf seinem Weg. Und die Erfahrung, bei Bedarf Hilfe suchen und finden zu können.
„Wenn man sich bemüht, hat man im Gegensatz zu Afghanistan in Deutschland sehr gute Chancen“, weiß er heute. „Diese zu nutzen, ist auch anstrengend. Aber wenn ich eine Hürde genommen habe, vergesse ich alle Schwierigkeiten bis dorthin.“
Hilfreiche Strategien gegen Hilflosigkeit
Um einen klaren Kopf zu bekommen, treibt Nawid Mohammadi regelmäßig Sport, unternimmt Ausflüge oder feiert mit Freunden – laut Prof. Dr. Eva Asselmann lauter sinnvolle Strategien. Denn wer bewusst für Ruheinseln sorge, sich selbst etwas Gutes tue und schöne Momente im Hier und Jetzt genieße, könne daraus in herausfordernden Zeiten neue Kraft schöpfen.
Gleichzeitig rät sie, die Alltagsroutine aufrechtzuerhalten, weil sie Struktur gibt, die stabilisiert. Und wir sollten aktiv werden, um zum Beispiel beim Rasenmähen oder Aufräumen kleine Erfolgserlebnisse zu haben und uns selbstwirksam zu fühlen – selbst wenn sich am eigentlichen Problem (noch) wenig ändern lässt. Auch sich allem zum Trotz erst recht etwas Gutes zu gönnen, sich bewusst ein wenig zu verwöhnen und zu genießen, stärkt Leib und Seele.
Zermürbende Gedanken schwächen die Selbstwirksamkeit
Kontraproduktiv sei es dagegen, sich in Worst-Case-Szenarios hineinzusteigern, statt bewusst „Stopp!“ zu zermürbenden Gedanken zu sagen, die dann nur zusätzlich Kräfte rauben. Dazu gehört auch das Vermeiden von „Doomscrolling“, dem exzessiven Konsumieren negativer Nachrichten.
Stattdessen lieber „Medienhygiene“ betreiben, heißt: Informationsbeschaffung reduzieren und bewusst auswählen. Wohltuend kann es laut Prof. Dr. Eva Asselmann auch sein, Sorgen in einem Tagebuch festzuhalten, um sie abends zu einem Abschluss zu bringen und nicht mit in die Nacht zu nehmen.
Unterstützung bei Überforderung
„Mit Herausforderungen konfrontiert zu werden, ist normal. Viele stecken sie erstaunlich gut weg und sind robuster, als sie denken“, so das Resümee der Expertin. „Aber je nach deren Art, den Begleitumständen und der individuellen Persönlichkeit können sie Menschen auch überfordern.
Wenn das Gefühl, dass alles zu viel ist, länger anhält, sollten Sie sich Unterstützung suchen – bei Freund:innen oder Familienmitgliedern, die zuhören können, oder bei fachkundigen Anlaufstellen von Telefonseelsorge bis zu Therapeut:innen.“
Christina Wechsel: Unausweichliches müssen wir annehmen
Zu einer Therapeutin hat sich Christina Wechsel entwickelt. Grund war ein Jahr voll gravierender Krisen: Erst starb 2006 ihre Mutter an Krebs. Dann hatte sie einen Verkehrsunfall in Australien, bei dem ihr bester Freund tödlich verunglückte und sie schwer verletzt wurde. Statt sich mit der Frage zu quälen „Warum ich?“, gelang es ihr, „anzunehmen, was nicht zu ändern ist“, und die Aufmerksamkeit auf das zu lenken, was von Wandern bis Skifahren mit Prothese und „Heldinnennarben“ möglich ist.
„Mein Schicksal kann ich nicht entscheiden, den Umgang damit schon“, hat die heute 41-Jährige für sich erkannt. „In Krisen liegt auch eine Chance, denn Leben bedeutet die Polarität von Licht und Schatten.“ Um dieses Wissen mit anderen zu teilen, ist die „leidenschaftliche Optimistin“ Naturheilpraktikerin geworden, inspiriert als Speakerin sowie Autorin mit Worten und begleitet Frischamputierte beim Projekt „Peers im Krankenhaus“.
Christinas Credo: „Wir verfügen über eine innere Kraft, um uns selbst zu heilen und Träume zu verwirklichen – egal was im Leben passiert.“
3 Tipps, die für Notfälle wappnen:
1. Positiv denken
Für die einen ist ein Glas halb leer, für die anderen ist es halb voll. Dieses simple, oft zitierte Beispiel zeigt gut, wie ein Sachverhalt aus zwei Blickwinkeln zu betrachten ist. Beim Beurteilen hilft ein Tipp aus der Achtsamkeitspraxis, die Aufmerksamkeit idealerweise nicht wertend auf eine Erfahrung zu richten.
Aber nicht nur eine neutrale Sicht der Dinge kannst du trainieren, sondern auch eine optimistischere: Wer lächelt, verbessert damit automatisch die eigene Stimmung, weil dabei Dopamin ausgeschüttet wird.
Am Ende des Tages erleichtert dir vielleicht ein Dankbarkeitstagebuch das Hinlenken der Gedanken auf alles, was in den zurückliegenden Stunden schön, angenehm, erfüllend und zufriedenstellend war. Zuversichtlich kann dich auch die möglichst anschauliche Vorstellung stimmen, wie lang gehegte Wünsche und Träume in Erfüllung gehen – weg vom Gefühl des Mangels und der Frustration, hin zu einem der Fülle.
2. Notgepäck bereitstellen
Brände und andere Notfälle können ein Grund dafür sein, dass wir unser Zuhause schnell verlassen müssen. Wenn keine Zeit zum Packen bleibt, sollte alles Wichtige griffbereit sein.
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) hat eine Liste für den Inhalt von Notfallrucksäcken zusammengestellt: www.bbk.bund.de. Sie reicht von Medikamenten über die Dokumentenmappe bis zur SOS-Kapsel mit allen wichtigen Kontaktdaten drin, zum Beispiel für Kinder.
3. Einen Vorrat für alle Fälle anlegen
Hamstern passiert bei Menschen wie bei den meisten Tieren impulsiv, aber natürlich kann das zu allgemeinen Engpässen in den Lebensmittelmärkten führen. Sinnvoller als das Horten von Öl oder Nudeln in Mengen ist deshalb das Prinzip „lebender Vorrat“. Wie es funktioniert, erklärt dir ein Video des BBK.
Dieser Beitrag erschien zuerst im „Magazin fürs Leben“ (Ausgabe 3/2022). Unsere Mitgliederzeitschrift bietet viermal im Jahr viele spannende Themen.
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